The Broken Window
Gruppen Ausstellung in der "Zuständige Behörde" Leipzig, Oktober 2015
Mit: Nico Curian, Francis Nicholson
Als Kollektiv beschäftigten wir uns mit diversen Fragen des Raumes, die durch die Ortsgebundenheit einerseits und die Gebundenheit des Ortes an stadtgeschichtliche und-strukturelle Bedingungen andererseits spezifiziert werden.
An dem konkreten Ort, der Kuhturmstraße 4, die den Kunstraum "Zuständige Behörde" beherbergt, wurden über einen Zeitraum von 3 Monaten Prozesse, die im und am Ort des Hauses passieren, beobachtet, ermöglicht, verstärkt und künstlerisch verarbeitet. Der spezifischen Geschichte des Ortes haben wir besondere Aufmerksamkeit gewidmet und sie in kritischen Bezug zu unserem künstlerischen Arbeiten gesetzt.
Zur Geschichte des Ortes
"Nur einen Monat nach Eröffnung der Lützner Straße 30 – bis 2013 Heimat des Medienkunst - Offspace „AundV“ - eröffnet im Juni das zweite Wächterhaus des Haushalten e.V. in der Kuhturmstraße 4. Zur selben Zeit gründen Sebastian Helms, Denis Luce, Inga Martel und Stefan Riebel hier einen der ersten Projekträume Leipzigs, den „Kuhturm“, wo am 15.07.2005, im Ladengeschäft des Hauses die erste Vernissage stattfindet. Gezeigt werden Installationen von Studenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Bereits im Winter 06/07 wird die „Entlassung“, der Verkauf an einen Privaten Investor, vorbereitet und zügig über die Bühne gebracht. Der Laden jedoch bleibt weiterhin in studentischer Hand und ist es bis heute. Seit 2013 gehört der Projektraum – nun unter dem Namen „Zuständige Behörde“ (kurz "Behörde) - zum „Institut für alles Mögliche“.
Die Geschichte zeigt Prozesse der Stadtentwicklung von alternativer Nutzung leerstehender Häuser durch Hausprojekte und Kunsträume bis hin zur Privatisierung, Sanierung und Vermietung. Für den Leipziger Westen sind diese Prozesse nichts Neues mehr und unter dem inflationär gebrauchten Begriff der Gentrifizierung beschreibbar. Für uns schließt sich die Frage an, welche Rolle Kultur und Kunst, insbesondere alternativer Spielart, bei diesem Prozess spielen. Folgt man dem allgemeinen Gentrifizierungsdiskurs sind es gerade KünstlerInnen, die, aufgrund günstiger Umstände, den Raum einnehmen und durch kulturelle Aktivitäten aufwerten. Damit einher gehen soziokulturelle und immobilienwirtschaftliche Veränderungen im jeweiligen Stadtteil.
Um eine kritische Auseinandersetzung zu fördern und daraus eine Haltung zu formulieren, forderten wir den Ort, seine Umgebung und Prozesse auf, sich darzustellen. Wir tapezierten die Außenscheiben der "Behörde", ehemals ein Ladengeschäft, mit Raufasertapete als Projektionsfläche. Damit machten wir das Innere zum undurchschaubaren Draußen, das zur Einsicht provoziert, und das Draußen zu einer Assoziation eines Innenraumes. Nach einiger Zeit entstanden die ersten gekratzten Löcher und Schmierereien. Wir überließen diesem Prozess seinen Verlauf, der zu größeren Abrissen und Schmierereien führte. Dieser wird in der Soziologie mit der Broken-Windows-Theorie beschrieben und meint den Verfall einer Gegend durch unbehobene Zerstörung, die bis zu kompletter Verwahrlosung führen kann. Nach Baudrillard's Essay über Graffiti "Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen" kann man die Graffiti aber auch als Kritik oder Auflehnung gegen die etablierte Semiokratie verstehen, die sich der konsumorientierten Bezeichnung des öffentlichen Raumes widersetzt. Während dieser Zeit wurde im Juwelier nebenan zweimal eingebrochen, was mit der Broken-Windows-Theorie korreliert. Quod erat demonstrandum.
Mit dieser kritischen Praxis folgten wir dem Selbstverständnis des „Instituts für alles Mögliche“, welches sich vorrangig als Medium der Institutionalisierungskritik gegenüber den hauptsächlich an der Ware orientierten Vermarktungsketten des Kunstmarktes versteht, als:
„..ein [organischer] künstlerischer Versuch, Nischen zu finden und in die kommerzielle Struktur des städtischen Raumes ein nichtkommerzielles Programm zu implantieren. Es soll eine Vorstellung, ein Angebot, eine Haltung formulieren, wie ein künstlerisches Zusammenarbeiten, -lernen, und -leben gestaltet werden kann.“
Im Innenraum der Behörde problematisierten wir darüber hinaus den Begriff der Sanierung und ihre ästhetischen Explikationen. Bereits die Raufasertapete ist ein entsprechendes Element. Der afunktionalen Benutzung der Tapete gleich, ver- und entwendeten wir andere Elemente einer typischen Sanierung, wie Laminat, Putz, Beleuchtung, Reinigung etc. Alle Mittel wurden dem Fundus des Hauses entnommen. Es sollte der Raum nicht mehr Ort für eine davon "unabhängige" Kunst sein, sondern selbst Gegenstand der Kunst. Damit gibt diese Aufschluss über diverse Implikationen, denen der Ort unterliegt. Es ging uns um die Suche nach einer Ästhetik, welche aus der Beschäftigung mit diesem Ort entstünde. Gemeinsam mit den verwendeten Materialien sind das die Ästhetik der Imitation, der Säuberung vs. Verschmutzung, Zerstörung, Offenlegung, etc. Das Resultat ist eine begehbare Rauminstallation, deren gestaltende Elemente sich anbieten, vom Betrachter zu verschiedenen Konfigurationen und Kompositionen neu verbunden zu werden. Dies geschah bereits durch die neugierigen Löcher von außen, die unterschiedliche Blickachsen schaffen und damit Raum und Inventar jeweils perspektivisch öffnen.